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Wer hat Angst vor dem Bandung Spirit

Aktualisiert: 24. Juni


Nehru - Der berühmte tägliche "Merdeka Walk" zwischen Hotel und Konferenz-Ort
Nehru - Der berühmte tägliche "Merdeka Walk" zwischen Hotel und Konferenz-Ort

Am 23. und 24. Mai 2025 fand am Einstein Forum in Potsdam die Konferenz „Bandung Spirits“ anlässlich des 70. Jahrestags der Asien-Afrika-Konferenz von Bandung (1955) statt. Die Veranstaltung wurde von Benjamin Zachariah (Potsdam) und Jolita Zabarskaitė (Universität Bonn) konzipiert und versammelte eine internationale Gruppe von Wissenschaftler:innen, darunter Vera Mey, Philippe Pirotte, Andrea Benvenuti, Kingshuk Chatterjee, Indah Wahyu Puji Utami und Bernd Greiner.

Im Zentrum stand die Frage, welche Rolle das historische Ereignis Bandung heute in globalen erinnerungspolitischen, künstlerischen und geopolitischen Diskursen spielt. Dabei wurde „Bandung“ weniger als kohärentes Vermächtnis denn als umkämpfte symbolische Ressource begriffen.

Der indonesischen Historikerin Indah Wahyu Puji Utami wurde bei ihrer Reise nach Bandung von ihren ortsansässigen Freundinnen und Kollegen davon abgeraten, in dem historischen Tagungshotel Savoy Homann an der Jalan Afrika-Asia in Bandung zu übernachten. Hantu rumah, die unerlösten Geister, würden dort ihren Spuk treiben.


In welcher Art Bandung in Europa spukt, berichteten Philippe Pirotte (Frankfurt) und Vera Mey (London) in ihrem Vortrag „Who’s Afraid of the Bandung-Spirit?“ zur kulturellen Rezeption des Bandung-Spirits in kuratorischen und künstlerischen Kontexten.

Die beiden Kunsthistoriker betrachten die Rolle des „Bandung-Spirit“ als emanzipatorisches Gerüst in der bildenden Kunst und den Geisteswissenschaften der Gegenwart. Sie argumentierten, dass die Kühnheit der Konferenz über die unmittelbaren politischen Folgen hinaus die politische Vorstellungs- und Gestaltungskraft der Menschen des Globalen Südens, beziehungsweise damals der 3. Welt, bis heute befruchtet, ja beflügelt. Hierbei gehe es wesentlich auch um die mentale Überwindung des Kolonialismus, der im internalisierten Rassismus der kolonialisierten Völker zum Ausdruck komme. Zentral und nicht unumstritten war bei der Konferenz der Aufruf zur Überwindung aller Formen von „racialism“, welcher alle Spielarten des rassistischen Denkens vom traditionellen Stammesdenken über kulturelle und religiöse Chauvinismen und Exzeptionalismen, den Ethnonationalismus bis zu pseudowissenschaftlichen Rasselehren umfasst.


Durch den konsequenten Ausschluss der Mächte des Nordens, sowohl der alten europäischen Kolonialmächte als auch der neuen Supermächte des Kalten Krieges, USA und Sowjetunion, fand eine Umkehrung des Blicks, nämlich eine Bewertung der politischen Weltlage durch die neuen politischen Anführer der kolonisierten Welt, statt. Richard Wright verewigte dies in seiner literarischen Beschreibung der Konferenz als ritueller Inszenierung nicht-weißer Selbstbestimmung („the first time they saw so many of their own in positions of power“), die es in dieser Dichte und Konzentration nie zuvor gegeben hatte. Erst das Verständnis für diese Blickumkehr, die unsere Seh- und Denkgewohnheiten herausfordert, ermögliche es uns, zu verstehen, warum der „Bandung-Spirit“ als bedrohlich wahrgenommen wird.

Pirotte und Mey sehen die documenta fifteen methodisch, ideell und durch die indonesische Traditionslinie als aktuelle Verkörperung des „Bandung-Spirits“ und betrachten diese als Opfer der historisch systematischen und organisierten Diskreditierung des „Bandung-Spirits“. Die Verdammung der documenta fifteen (2022) durch deutsche Medien und Politik führen sie direkt auf die Unterschätzung des Einflusses der Konferenz und der vorangegangenen indonesischen Unabhängigkeit zurück. Das indonesische Kuratoren-Kollektiv ruangrupa sei in der öffentlichen Rezeption nicht trotz, sondern gerade wegen dieser Bezugnahme massiv delegitimiert worden. Die Bandung-Konferenz erscheine in dieser Lesart nicht als abgeschlossenes Kapitel, sondern als störende, mahnende Erinnerung an eine blockierte Dekolonisierung.


Andrea Benvenuti (University of New South Wales, Australien) untersuchte in seinem Vortrag „Nehru’s Bandung“ die geopolitischen Kalküle des indischen Premiers Jawaharlal Nehru. Auf Basis neu erschlossener Archivquellen zeigte Benvenuti, dass Nehrus Teilnahme an der Konferenz wesentlich von sicherheitspolitischen Überlegungen geprägt war. Insbesondere die amerikanische Containment-Politik und die Gründung der SEATO (1954) hatten Nehru davon überzeugt, Bandung als Plattform für eine blockfreie Ordnung zu nutzen.

Man kann Benvenuti so verstehen, dass Bandung als Gegen-Containment gegen die amerikanische Außenpolitik angelegt war. Die Öffnung gegenüber China verärgerte aber nicht nur die antikommunistischen Hardliner, sondern auch die damalige sowjetische Führung. Im Hinblick auf den politischen Kurswechsel Nehrus gegenüber China spitzte Benvenuti die Tragweite dieses Kurswechsels so zu: „Before Nixon went to China, Nehru went to China“. Insofern weist auch seine Analyse in die Richtung, die spätere Marginalisierung Bandungs weniger mit inneren Schwächen der postkolonialen Staaten zu erklären, als mit externen Interventionen.


Indah Wahyu Puji Utami (Universitas Negeri Malang, Indonesien) präsentierte eine empirische Studie zur Vermittlung der Bandung-Konferenz in indonesischen Bildungsinstitutionen und Museen. In ihrem Vortrag „Remembering Bandung: How the 1955 Asian-African Conference is Taught, Understood, and Misremembered in Indonesia“ zeigte sie, dass Bandung in Schulcurricula überwiegend als nationaler Gründungsmythos, „als Indonesien die Welt anführte“ bzw. „der Welt zeigte, wofür Indonesien steht“, vermittelt werde. Kritische Reflexionen über die komplexe innere Situation Indonesiens oder die globale Bedeutung der Konferenz fänden kaum statt. Umkämpft und von gegensätzlichen Interessen geprägt ist auch die Erstellung der Geschichtsbücher. So gebe es Stimmen in der Lehrerschaft, die grundsätzlich die Vermittlung von negativen Ereignissen in der Geschichte der Republik Indonesiens in Frage stellen.

Es gibt in diesem Jahr in Indonesien kein zentrales Gedenken an die Bandung-Konferenz. Seit der Amtsübernahme des neuen Präsidenten der Republik Indonesien, Prabowo Subianto, herrscht in der Kultur- und Bildungspolitik ein strikter Sparkurs und um die Vermächtnisse der indonesischen Geschichte zwischen Sukarno, Suharto und der Reformasi-Ära wird gerungen.

Utami zeigte auf, dass die junge Generation sich in der mittlerweile selbst museal gewordenen Ausstellung zur Bandung-Konferenz den Einsatz neuer Medien, einen stärkeren Bezug zu ihrem eigenen Leben und ein besseres Verständnis der damaligen inneren Spannungen in Indonesien wünschte.

Kingshuk Chatterjee (Universität Kalkutta, Indien) sprach in seinem Vortrag "Where the Spirit Was Willing, but the Flesh Was Weak“ über die geopolitischen Rahmenbedingungen der Bandung-Konferenz und deren unmittelbare Auswirkungen. Er zeichnete detailliert nach, wie die Dynamiken des Kalten Kriegs – insbesondere die polarisierenden Einflussnahmen durch die USA und die UdSSR – die emanzipatorischen Ambitionen der Bandung-Teilnehmerstaaten konterkarierten.

Chatterjee betonte, dass viele Delegationen zwar eine klare Vision postkolonialer Selbstbestimmung teilten, diese aber kaum institutionell absichern konnten. „Der Geist war willig, das Fleisch jedoch schwach“ – so sein Titel – sei weniger ein Ausdruck innerer Schwäche, sondern einer strukturell erzwungenen Ohnmacht. Vor allem die wirtschaftliche Abhängigkeit vieler Staaten von ehemaligen Kolonialmächten und neuen Supermächten habe verhindert, dass der in Bandung artikulierte Anspruch auf geopolitische Autonomie dauerhaft realisiert werden konnte.

Zudem verwies Chatterjee auf das Ausbleiben einer nachhaltigen Institutionalisierung der Bandung-Idee: Die 1961 gegründete Bewegung der Blockfreien Staaten sei zwar ein direktes Erbe von Bandung, habe sich aber in der Folgezeit zunehmend in Widersprüche und Blocknähe verstrickt. Für Chatterjee ist Bandung daher weniger gescheitert als vielmehr überformt worden – ein Projekt, das in seinem historischen Moment visionär war, aber durch äußere Zwänge neutralisiert wurde.


Carlos Fraenkel (McGill University, Kanada), der ab dem 1. Juli 2026 die Leitung des Einstein Forums übernehmen wird, hielt einen programmatischen Vortrag unter dem Titel „Beyond a Binary: Victims of Victims and the Limits of the Colonizer–Colonized Paradigm“. Er problematisierte die oft schematische Unterscheidung zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten und plädierte für eine komplexere Analyse postkolonialer Verflechtungen.

Fraenkel argumentierte, dass viele der heutigen Konfliktlinien innerhalb des Globalen Südens nicht verstanden werden können, wenn man an einem simplen Täter-Opfer-Dualismus festhält. Stattdessen müssten historische Grauzonen, etwa Kollaborationen, lokale Eliten, aber auch transkulturelle Allianzen, stärker in den Fokus rücken. Seine Intervention zielte auf eine entmoralisierte, dafür historisch differenzierte Auseinandersetzung mit postkolonialen Machtverhältnissen.

Jolita Zabarskaitė (Universität Bonn) widmete ihren Vortrag den Spannungen zwischen verschiedenen Visionen von Afro-Asien im Kontext der Bandung-Konferenz. Unter dem Titel „Bandung, Greater India, Indonesia: Incompatible Visions of (Afro-)Asia?“ analysierte sie insbesondere die Rolle der sogenannten „Greater India“-Ideologie, die von Teilen des indischen politischen und kulturellen Establishments zur Zeit der Konferenz vertreten wurde.

Zabarskaitė argumentierte, dass diese Ideologie zwar antiimperialistisch motiviert war, zugleich aber koloniale Logiken reproduzierte – etwa in der Rede von einer „friedlichen kulturellen Kolonisierung“ durch indische Einflüsse in Südostasien. Zentral war in Zabarskaitės Analyse die Differenz zwischen Rabindranath Tagores visionärem, spirituell geprägtem Asianismus und den machtpolitischen Interessen, mit denen „Greater India“ in Bandung verhandelt wurde.

Bernd Greiner (Universität Hamburg) stellte im abschließenden Gespräch mit Benjamin Zachariah unter dem Titel „Roads Not Taken“ Überlegungen zu den nicht realisierten historischen Alternativen an, die sich aus der Bandung-Konferenz hätten ergeben können. Greiner argumentierte, dass vornehmlich die US-Politik der 1950er und 60er Jahre darauf angelegt war, jegliche Form blockfreier oder sozialistisch inspirierter Kooperationsmodelle im Globalen Süden zu unterminieren. Dabei verwies auch er darauf, dass die antikommunistische Gewalt in Indonesien als Blaupause globaler Interventionsstrategien diente.

Sein Gesprächspartner Zachariah, der Verfasser einer großartigen Nehru-Biografie (Nehru. The Making of India, 2004), welche das oftmals hagiografische Nehru-Bild korrigierte, dessen Rolle als rationalistischer Modernisierer historisch situiert, aber auch Widersprüche und autoritäre Tendenzen nicht ausspart, mochte sich diese Lesart nur ungern anschließen. Vor dem Hintergrund seiner Demystifizierung von Nehru sieht er die neuere Literatur, welche betont, wie sehr externe geopolitische Konstellationen zur strukturellen Schwächung des Bandung-Projekts beigetragen hätten, eher kritisch.


Der Fokus der Tagung auf die Rolle Indiens und die strategischen Implikationen der indischen Außenpolitik brachte zweifellos neue erkenntnisleitende Impulse – insbesondere hinsichtlich der Rolle Indiens im Kalten Krieg, wie sie Andrea Benvenuti, Jolita Zabarskaitė, Benjamin Zakariah und Kingshuk Chatterjee herausarbeiteten.

Allerdings blieben dabei sowohl die afrikanischen Elemente des Bandung-Spirits als auch dessen spezifisch indonesischer Moment etwas blass. So ist der überragende Einfluss von Nehrus Indien auf die afrikanischen Befreiungsbewegungen verbürgt. Nicht nur durch die frühzeitige Anerkennung der algerischen Befreiungsbewegung (FLN), sondern auch durch die antikolonialen Radiosendungen des indischen Senders AIR (All Indian Radio), der in Französisch, Englisch und Suaheli nach Afrika sendete und von den dortigen Freiheitskämpfern als „Nehrus Flüstern“ gewürdigt wurde.

Das indonesische Prinzip der Einheit in Vielfalt (Bhinneka Tunggal Ika) und Sukarnos Vision einer friedlichen Koexistenz als globales Leitbild markieren zentrale ideologische Grundlagen der jungen Republik. Die indonesische Dekolonisierung war dabei historisch besonders, da sie nicht nur den antikolonialen Widerstand gegen die niederländische Kolonialmacht umfasste, sondern auch eine innere Aushandlung zwischen Nationalisten, Kommunisten und islamisch geprägten Kräften erforderte. Gerade angesichts der geopolitischen und erinnerungspolitischen Brisanz dieser Konstellation wäre eine intensivere Auseinandersetzung mit Indonesiens politisch-kulturellem Beitrag zur Konferenz wünschenswert gewesen.

Diese Leerstelle wiegt im deutschen Kontext besonders schwer, da die indonesische Geschichte im Zuge des documenta-Streits eine neue kulturpolitische Brisanz erfahren hat. Die postkoloniale Kritik an der europäischen Geschichtsschreibung – pointiert mit Salman Rushdies Bonmot, wonach die Europäer ihre eigene Geschichte nicht kennen, weil so viel davon außerhalb Europas stattgefunden hat – erhält hier konkreten Anlass: Während Indonesien zunehmend als Schlüsselregion der globalen Nachkriegsordnung anerkannt wird, blieb in Potsdam viel Skepsis gegenüber dieser Verschiebung der geopolitischen Aufmerksamkeit, zu der zuletzt auch die international beachteten, journalistisch wie globalgeschichtlich argumentierenden Bücher The Jakarta Method von Vincent Bevins und Revolusi von David Van Reybrouck beigetragen haben.

Diese Zurückhaltung steht exemplarisch für eine tiefere Ambivalenz, die sich auch in der kunstpolitischen Debatte um Repräsentation manifestiert: Die Absage der Ausstellung Spectres of Bandung, die für September 2023 im Berliner Gropius-Bau geplant war und von Vera Mey und Philippe Pirotte kuratiert werden sollte, erfolgte unter vagen Vorbehalten. Der Zusammenhang zwischen dieser Absage und dem documenta-Streit blieb öffentlich weitgehend undiskutiert, fügte sich aber nahtlos in das Muster einer strukturellen Marginalisierung indonesischer Perspektiven in der deutschen Kulturlandschaft.

Gerade diese aktuelle politische Aufladung macht die Ausblendung indonesischer Beiträge im erinnerungspolitischen Diskurs umso auffälliger – und wirft die Frage auf, ob ihre fortwährende Randstellung nicht weniger aus Unkenntnis denn aus kulturellem Unbehagen gegenüber ihrer disruptiven Kraft resultiert.

Die Konferenz zeigte deutlich, dass der Bandung-Spirit nicht als einheitliches Vermächtnis existiert, sondern als konflikthaftes Symbol, das in künstlerischen, erinnerungspolitischen und geopolitischen Kontexten unterschiedlich angeeignet wird. Während die einen ihn als utopisches Potenzial reaktivieren, warnen andere vor seiner musealen Erstarrung.

Als zentrales Ergebnis lässt sich festhalten: Der Bandung-Spirit ist nicht tot – aber er spukt. Seine Wiederkehr verweist auf die offenen Wunden der Dekolonisierung, auf das einstweilige Scheitern globaler Gleichheit und auf die Persistenz eines politischen Imaginären, das nicht zur Ruhe kommt.

 

Henry Urmann

 
 
 

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Die Fokussierung auf Nehru und die asiatischen Teilnehmer übersieht, dass einer der Hauptprofiteure der Bandung-Konferenz Tito war. Der gewann diplomatisches Profil im Ost-West-Konflikt und erhebliche Wirksamkeit auf dem internationalen Parkett, mehr als die traditionellen neutralen Staaten wie die Schweiz, Schweden oder Finnland. Mit dem Tod Titos 1980 verlor die Bandung-Idee ihren einzigen Anker außerhalb des Globalen Südens und wurde in Europa völlig marginalisiert.

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