Die Theorie der Bildakte von Horst Bredekamp bietet mir viele Denkanstöße, um die Kraft des Bildes "People's Justice" besser zu begreifen. Bredekamp ist vielleicht als wirkmächtigster Verreter einer "alteuropäischen", an der Autonomie des Kunstwerks festhaltender Kunsttheorie zu sehen. Damit steht er im Widerspruch zum Lager der „Iconic Turn“-Theoretiker wie W.J.T. Mitchell, einem prominenter Theoretiker des "Pictorial Turn" (What do pictures want?). Dieser hat, ähnlich wie Bourdieu, einen breiteren Ansatz bei der Untersuchung von Bildern vorgeschlagen, der sich nicht nur auf die visuelle Dimension beschränkt. Mitchells Kritik könnte man als eine Aufforderung verstehen, die sozialen, politischen und textuellen Kontexte stärker in die Analyse von Bildern einzubeziehen. Eine weitere Kritik kommt oft von postkolonialen Theoretikern, die argumentieren, dass Bredekamps Theorie hauptsächlich aus einem westlichen Kontext heraus entwickelt wurde und daher möglicherweise nicht auf andere kulturelle oder historische Kontexte anwendbar ist. Es gibt Hinweise darauf, dass die Gruppe Taring Padi selbst dieser Sichtweise zuneigt und weder den erfahrungsgemäß "dürftigen" Bildinterpretationen des Rakyat (Volkes) noch feinsinnigen, elitären Kunstdiskursen über Bilder besonders viel Bedeutung beimisst. Eine verbreitete Reaktion wohlmeinender Leser auf unser Buch war denn auch, wir würden die Bedeutung des Bildes überinterpretieren. Auch unsere Verwendung des wertenden Begriffs "Skandalbild" wurde in der Rezeption kritisiert. Im Gegenzug haben wir gegen die Bezeichnung des Bildes als "Wimmelbild" argumentiert. In Anlehnung an Bredekamp sehe ich das Kunstwerk mittlerweile als eine Art "Schmähbild" oder "Schandbild". Es enthält die Absicht, die im Bild dargestellten Personen, darunter bekannte Figuren wie Henry Kissinger, Colin Powell, Queen Elizabeth, Muammar Gaddafi und Benazir Bhutto durch ihre überzeichnete, fast monströse Darstellung quasi "im Namen des Volkes" zu verurteilen oder anzuprangern. Es geht jedoch nach unserer Auffassung nicht darum, durch die Verwendung von rassistischen, sexistischen oder sonstige diskriminierende Stereotypen bestimmte Gruppen zu beleidigen oder zu verleumden.
Ebenso bedenkenswert ist bei Bredekamp der Hinweis auf andere historische Fälle, in denen Bilder verhüllt oder verdeckt wurden, um ihre Macht oder ihre Botschaft zu neutralisieren. Ein Beispiel ist die Verhüllung von Picassos berühmtem Bild "Guernica" während einer Pressekonferenz im UN-Gebäude von Colin Powell vor dem Irak-Krieg. Interessanterweise wurde Powell in "People's Justice" nun selbst kurz "verhüllt", bevor das Bild abgehängt wurde. Ein weiteres Beispiel sind die Statuen von Saddam Hussein, die im Irak-Krieg mit amerikanischen Flaggen bedeckt wurden, bevor sie gestürzt wurden. Das führt zu Überlegungen über die historische Bedeutung der "Blickabwehr" - etwa durch den Sack über dem Kopf der zum Tode Verurteilten, um den Henkern den Blick der Todgeweihten zu ersparen. Im Mythos rund um die Figur der Medusa der Fall werden die Weisheit des "Nicht-Hinsehens" und die Fatalität des Blicks thematisiert. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass die Figuren von Kissinger und Gaddafi im Bild "People's Justice" den Betrachter direkt ansehen. Dies erinnert an ein früheres Werk der Künstlergruppe Taring Padi, nämlich "The Evacuation", das Otto Griebels ikonisches Bild "Die Internationale" (https://www.dhm.de/lemo/bestand/objekt/die-internationale-1929.html) direkt in die indonesische Gegenwart überträgt. In diesem früheren Bild blickt das dargestellte Volk den Betrachter direkt an, was eine zusätzliche Ebene der Interaktion und Interpretation eröffnet. Ging es also auch bei der Abhängung von "People's Justice" um eine "Blickabwehr"?
Zur Erläuterung: es gibt zwei verschiedene Typen von Bildakttheorien:
In der einen Gruppe von Theorien wirkt das Bild als direkter Handlungsauslöser, es wird wie ein Sprechakt selbst zur Tat.
Die andere Theoriengruppe zeigt, wie Menschen mit Hilfe von Bildern und durch Bilder agieren.
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