Im Mai 1525 fand in Frankenhausen in Thüringen die letzte Schlacht der Bauernkriege statt - oder besser: ein Gemetzel mit 6000 toten Bauern. Ihr Anführer Thomas Müntzer wurde von dem Sölnerheer der deutschen Fürsten gefangen genommen und später hingerichtet.
1987 wurde im heutigen Bad Frankenhausen nach 12-jähriger Arbeit das monumentale Geschichtspanorame von Werner Tübke über den Bauernkrieg und die frühbürgerliche Revolution in Deutschland fertiggestellt. Es wird in einem Rundbau präsentiert. Den Auftrag erteilte die DDR-Regierung, für die die frühbürgerliche Revolution eine wichtige Legitimation darstellte, wobei Tübke große Freiheit in der Bildgestaltung hatte und keine erklärenden Aussagen zu dem teils verschlüsselten Bild abgab.
In diesem Historienbild sind einige interessante Parallelen zum Bild von Taring Padi sichtbar. Es handelt sich allerdings nicht um ein Triptychon, sondern um ein fünfteiliges kreisrundes Wandgemälde. Es folgt keiner exakten Chronologie der Ereignisse, sondern spielt auf zahlreiche Themen der frühen Neuzeit an, die in mannigfaltiger - auch widersprüchlicher - Beziehung zueinander stehen. Das Bild kann jedoch im Uhrzeigersinn gelesen werden von apokalyptische Prophezeiungen über die Ursachen der Reformation und Revolution bis zum Kulminationspunkt 1525 und einem himmlischen Gericht mit Höllensturz der Adligen. Darunter rächt sich jedoch das weltliche Gericht an den Aufrührern, die gerädert werden.
An den Höllensturz schließt sich ein Panoptikum der zerstrittenen Stände des Reichs an, die ihren Anteil an den Abgaben der Bauern fordern (Fabel vom Krieg der Hunde, Katzen und Mäuse - siehe Bildausschnitt oben). Das ganze Bild ist ein Netzwerk aus Verweisen auf biblische Themen, Legenden sowie von Bildzitaten vor allem aus Flugschriften und Bildern der Renaissance.
Anfang und Ende dieser Abfolge gehen in einer eisigen Winterlandschaft mit vielen Elendszenen und einem unvollendeten Turm zu Babel ineinander über. Vor diesem herrscht ein sündhaftes Treiben. Man könnte diese Ringlandschaft auch als zyklischen Geschichtsverlauf, als Wiederholung von Restauration und Revolution interpretieren oder auch geschichtsoptimistisch annehmen, dass selbst eine schlimme Niederlage die Unterdrückten nie vollständig und für immer niederwirft. Trotz der apokalyptischen Szenen haben wir es nicht mit einer Endzeitschlacht zu tun, sondern mit einem dynamischen Verlauf, in dem mal die eine, dann die andere Seite Oberhand gewinnt. Und es gibt eine Verheißung auf Auferstehung der Opfer und auf Weltfrieden, die ein Engel einem Bewaffneten vor einer Himmelskugel verkündet. Doch scheint der endgültige Untergang der Gottlosen eine schöne Illusion zu sein. Im Veränderlichen, konkret Historischen sind immer auch beständige Grundzüge und Elementarereignisse der menschlichen Gesellschaft sichtbar.
Betritt man den Rundbau durch einen Aufgang, so fällt zunächst das Aufeinandertreffen der beiden Heere der Bauern rechts und der Fürsten links in den Blick, erkennbar u.a. an der "Freyheits"-Standarte der Bauern. Zwischen den Heeren steht Thomas Müntzer, der die Bauern anführt, aber die Bundschuhfahne bereits sinken lässt. Er ist von einer Art Aura umgeben. Hoch über ihm leuchtet - umgeben von Regenbogenfarben - der Sturz des übermutigen Ikarus, ein Symbol für das Scheitern der Bauern - oder der Fortschrittshoffnung insgesamt? (Auf dem Bild "Sturz des Ikarus II" (1978) von Tübkes Malerkollegen Wolfgang Mattheuer stürzt übrigens - kaum verfremdet - eine Sojus-Raumkapsel ab - eine Strafe für den unverschämten Griff nach dem Weltraum?)
Ein zweiter Blickfang ist der große blaue Fisch unterhalb des gewaltigen Turms zu Babel. Dort sehen wir nochmals Thomas Müntzer, der mit einer Hand auf den Fisch - Symbol der christlichen Verheißung - und mit der anderen auf den Turmbau zeigt - die ruinöse Realität der Römischen Kirche.
Wenn es auf dem Bild von Taring Padi einen positiven Helden gibt, so ist es wohl die Figur, die wir als Edward Said interpretieren. Er nimmt dort die Rolle ein, die Thomas Müntzer im Bild von Tübke innehat, ist aber im Gegensatz zu ihm noch nicht gescheitert. Den Politikern auf dem Bild von Taring Padi entsprechen die Fürsten und die Vertreter des Papsttums in Tübkes Panorama.
Einige andere Parallelen der beiden Bilder sollen hier nur kurz aufgezählt werden:
die clownesken Figuren in den apokalyptischen und Elendszenen, die z.B. einen Prälaten vertreiben - die Plünderung der Kirchen und Klöster durch die Bauern war ein wichtiges Motiv für die Ablehnung der Revolte durch viele Reformatoren und Humanisten
die verdrehten Körper in den Gewaltszenen. und die zahllosen. Opfer in verrenkter Stellung
Schweins-, Hunds- und andere Tiergesichter und schaurige Mischwesen wie bei Hieronymus Bosch (vor allem die Gegner Luthers)
eine Fluchthütte, in der Opfer von Krieg und Plünderungen eines Dorfes Zuflucht gesucht haben
viele ambivalente oder transkulturell unterschiedlich zu lesende Symbole wie das weiße Ei im Schnee, das als Symbol des Teufels wie auch der österlichen Auferstehung gilt, oder der aggressiv auffliegende schwarze Hahn auf der Fahne der Fürsten, ein Symbol des Teufels ebenso wie die Mahnung, das Wort Gottes nicht zu vergessen
der Künstler selbst, der sich im Bild befindet und es betrachtet, während er als Wanderer zwischen den Welten steht
eine Reihe von erkennbaren zeitgenössischen Figuren von Reformatoren, Künstlern und Humanisten, die die Bauern unterstützten oder kritisierten, bis hin zu Jakob Fugger und Jakob Welser, den reichsten Handelsherren ihrer Zeit
die rätselhafte Figur des Anführers der Fürsten auf dem Schimmel - Kaiser Maximilian oder ein apokalyptischer Reiter?
Tübke hat kein realistisches Abbild der damaligen Verhältnisse geschaffen, sondern eine stark verschlüsselte Landschaft innerer Bilder, Mythen und Symbole, die die Menschen damals bewegten. Anders als bei Taring Padi wird jedoch bei Tübke nirgendwo eine Utopie der bäuerlichen Welt bildhaft deutlich. Den rechte Flügel des Bildes von Taring Padi kann man teilweise als eine solche Utopie des städtischen und ländlichen Lebens deuten.
Die Wirkung des Bildes beruht aber auf seinen Ambivalenzen und den vielfältigen Relationen seiner Figuren und Schlüsselmotive, obwohl es gleichzeitig erkennen lässt, dass die Welt von polaren Gegensätzen bestimmt wird. Einen weiteren bedeutsamen Unterschied gibt es zum Bild von Taring Padi: Es ist nicht von didaktischen Bemühungen bestimmt, die Zuschauer werden nicht einbezogen, die hier geschilderten Ereignisse liegen nicht wenige Jahre, sondern fünf Jahrhunderte zurück. Die holzschnittartige, aber sehr feine altmeisterliche Zeichnung der Figuren schafft historische Distanz zum Geschehen - insbesondere für Menschen, die lange mit Werken des Sozialistischen Realismus konfrontiert waren. Die Gestaltung erinnert an Albrecht Altdorfers Gemälde "Die Alexanderschlacht" (Schlacht bei Issos gegen den Perserkönig Darius II.) , im 4. Jh. v. Chr.) - im 16. Jahrhundert ganz offensichtlich eine Warnung vor der Türkengefahr.
Wilhelm Schmidt bezeichnete das Bild 1875 als eine "echte Ritterschlacht mit tausenden von Figuren zu Fuß und Roß; alle Köpfe, Harnische, Gräser ec. mit unvergleichlicher Sorgfalt ausgeführt" beschreibt. (Siehe
Das Ergebnis der Bauernkriege war wie auch in einigen anderen Regionen ambivalent. Teils verarmten die Bauern durch die Erhöhung von Abgaben vollständig, teils wurden die Härten der Leibeigenschaft gemindert. Doch die autoritäre Herrschaft der Fürsten wurde insgesamt gestärkt. Der deutsche Bauernkrieg wirkte in der Erinnerung bis ins letzte Jahrhundert nach - meist mit der resignativen Bilanz, dass "alles umsonst" war.
Offen lassen beide Bilder, ob die Gerechtigkeitsvision der frühbürgerlichen Revolution bzw. der indonesischen "Reformasi" von 1998-2001 erfüllt wurde oder nicht - oder ob sie überhaupt jemals erfüllt werden kann. So wurde der 1998 entlassene indonesische General Prabowo, der unter anderem für die Massaker in Osttimor verantwortlich war, 2024 zum indonesischen Präsidenten gewählt. Auf den Wahlplakaten war er mit einer Waffe abgebildet.
PS: auch die englische Bauern-Revolte von 1536-1537 richtete sich vor allem gegen die Kirchenpolitik Heinrich VIII. und seine Klosteraufhebungen.
Wenn man Eduard Beaucamp den Freund und Förderer Werner Tübkes als wichtigsten Interpreten des Panorambildes betrachtet, hat die fortschrittskritische Interpretation des Bildes gerade die Oberhand. Bei unserem letzten Besuch in Bad Frankenhausen waren wir etwas schockiert über den Rückgriff auf Nietzsches Motiv von der ewigen Wiederkehr in der Bilderklärung des Audio-Guides. Sicherlich hatte Tübke ein großes Interesse an den „Elementarereignissen der Geschichte“, er nannte sie „Archethemen“ aber Beaucamp geht so weit, das in Tübkes Werk „in den zyklischen Reigen menschlicher Mythen und Historien zuletzt jeder Fortschritt über Last und Leiden verweigert“ wird.
Das Fremde und Rätselhafte der Motive des Panoramabildes, die, wie die Kunsthistorikerin Ulrike Eydinger zeigte, fast sämtlich dem Band „Illustrierte Geschichte der frühbürgerlichen Geschichte“ von Max Steinmetz entnommen…