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Ist der Begriff des "Globalen Südens" antisemitisch?

Autorenbild: Hans-Jürgen WeissbachHans-Jürgen Weissbach

Aktualisiert: 20. Feb. 2024

Erstaunt waren wir darüber, dass auch kluge und wohlmeinende Menschen allein schon den Begriff des Globalen Südens mit Antisemitismus assoziieren. "Okay, die Unterscheidung zwischen erster und zweiter Welt ist seit 1990 hinfällig und die zwischen Schwellen- und Entwicklungsländern inzwischen auch (es gibt ja nur noch eine Rangfolge der Armut), aber muss man denn den 'Rest der Welt', der nicht zu den G7-Staaten gehört, denn so nennen?"

systematisch geschürt wurde.


Differenzierter war da Arno Orzessek: https://www.deutschlandfunk.de/mediasres-glosse-orzessek-zu-viel-theoretischer-ueberbau-100.html). Wir wollen hier nicht die Frage diskutieren, ob Israel dem Globalen Süden zugehört und demzufolge israelische Künstler auf der documenta fifteen hätten repräsentiert sein müssen; man wird sie vermutlich mit "zum größten Teil nicht" beantworten können. Aber Tatsache ist: der "Globale Norden" schlägt massiv zurück und versucht den Interventionismus und rassistische Praktiken in seinen ehemaligen Kolonialreichen (also fast im gesamten "Rest" der Welt) zu verdrängen, eben durch Diskreditierung und Delegitimierung der Verwendung von Begriffen wie "postkolonial", "Apartheid" oder "Globaler Süden".


Wenn wir uns auf das Bild von Taring Padi beschränken, so thematisiert es zunächst zwar innerindonesische Erfahrungen, die jedoch in größere welthistorische Zusammenhänge eingebettet sind, die den gesamten Globalen Süden betrafen: Die Angst vor einem zweiten Vietnam in Indonesien führte zu dem von den USA, Großbritannien und Israel unterstützten Putsch Suhartos und den Massakern an Chinesen und Kommunisten 1965 (und zum Putsch in Chile). In der Folge waren es die Annexion Osttimors mit Duldung der USA und insbesondere Kissingers, die britischen Waffenlieferungen für Suharto, die zum Hungertod Zehntausender in Osttimor beitrugen, die Massaker dort im Jahr 1991, die Unterstützung genozid-ähnlicher Aktionen in Westpapua und die Vertreibung der Papuas durch den Bergbaukonzern Freemont-McRoRan unter dem Aufsichtsratsvorsitzenden Henry Kissinger, aber auch die Unterstützung Gaddafis für die islamistischen Rebellen in Aceh und die Förderung islamistischer Terroristen durch Benazir Bhutto, die auch Attentate in Indonesien wie das auf Bali 2002 begünstigte, oder die Unterstützung Clintons für die indonesischen Pfingstkirchen als Dank für deren Unterstützung im Wahlkampf in Arkansas - mit den anschließenden Religionskonflikten auf den Nordmolukken 1998.


Indonesien drohte zum Spielball der Großmächte - auch der Sowjetunion - und internationalen Konzerne zu werden, aber auch zum Kriegsschauplatz einer islamistisch- terroristischen Gegenbewegung gegen Globalisierung, Irak- und Afghanistaninvasion. Kann das figurenreiche Bild "People's Justice", , das diese Konflikte aufzeigt, überhaupt islamistisch-fundamentalistische Ideen repräsentieren? fragten wir uns. Und wenn christliche Kirchen, Pagoden, Stupas und Moscheen auf dem Bild zu sehen sind, wohl kaum. Wenn wir an islamistische Propaganda denken, erwarten wir doch eher schwarze Banner mit weißer Schrift oder Filme von abschreckenden Gräueltaten. Also haben die Kritiker nicht genau hingeschaut.


Dazu passt, dass der Abschlussbericht zur wissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen ohne zwei Spezialisten erstellt wurde, die die Perspektive des globalen Südens hätten einbringen können - ein Afrikanist und eine Expertin für südostasiatische Kunst, die diese Perspektive im Bericht unzureichend vertreten fanden und daher aus dem Gremium ausschieden. Dabei fordert der Bericht explizit die Übernahme auch einer israelischen / jüdischen Perspektive auf das Bild.


Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die ethnische oder religiöse Markierung einzelner Figuren in der komplexen, durch satirische Elemente bereicherten Erzählstruktur des Bildes nicht als antisemitisch betrachtet werden kann. Wir nehmen im Gegenteil an, dass Taring Padi die nationale und religiöse Versöhnungspolitik des Präsidenten Wahid unterstützen wollten, worauf auch die Symbole anderer Religionen am Bildrand hindeuten.

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