Falscher Alarm: Plädoyer für eine erneute Ausstellung des zu Unrecht als antisemitisch interpretierten Rätselbildes "People's Justice" von Taring Padi
(abgedruckt in: Kita 2/2023, hrsg. von der Deutsch-indonesischen Gesellschaft e.V. Köln, S. 65 ff.)
Auch ein Jahr nach dem Ende der documenta 15 ist sich die deutsche Öffentlichkeit einig, dass in Kassel antisemitische Kunstwerke gezeigt wurden, die zu Recht entfernt wurden oder deren Entfernung zu Recht gefordert wurde. Mit Meron Mendel und Nicole Deitelhoff wurden in die Geschehnisse verwickelte Akteure, die in ihren jeweiligen Funktionen die Entfernung der beiden Kunstwerke “People’s Justice” und “Tokyo Reels” forderten, mit der Aufarbeitung des Skandals beauftragt. Die von Nicole Deitelhoff geleitete Kommission kam zu dem Schluss, dass die Entfernung des Bildes gerechtfertigt war. Es war aber kaum zu erwarten, dass das eigene Handeln grundlegend revidiert und als "falscher Alarm" eingestuft würde. Diese beiden selbstimmunisierenden Personalentscheidungen sind nur eines der vielen Rätsel dieser documenta und ein weiteres Hindernis auf dem Weg zu einer ergebnisoffenen Aufarbeitung des Skandals.
Schon früh hatte Ruangrupa in seinem Text "Ein Skandal über ein Gerücht" ohne jede asiatische Zurückhaltung behauptet: "to be clear: no antisemitic statements of any kind have been made in the context of documenta fifteen.” An der Richtigkeit dieser Aussage kann bei näherer Betrachtung der kritisierten Arbeiten kein Zweifel bestehen. Daher plädieren wir dafür, das durch den Skandal und die Abhängung ikonisch gewordene Bild "People's Justice", welches 750.000 documenta-Besuchern vorenthalten wurde, wieder in Deutschland zu zeigen. Die in Berlin geplante Ausstellung zum 70. Jahrestag der Bandung-Konferenz der Blockfreien Staaten im Jahr 2025 böte einen geeigneten Anlass für eine erneute Ausstellung mit entsprechender kuratorischer Einbettung.
In unserem Buch „Poetic Justice des Globalen Südens. Eine Analyse des Skandalbildes von Taring Padi" begründen wir den künstlerischen Rang des Bildes und stellen die Entstehungsbedingungen, die beteiligten Künstler und den historischen Hintergrund des Bildes vor. Die gründliche ikonographische Analyse des Bildes zeigt, dass es nicht antisemitisch und erst recht nicht „islamistisch“ ist, sondern das Fortbestehen rassistischer Hierarchien nach dem Ende von Faschismus und Kolonialismus, aber auch die globale Dimension der Instrumentalisierung von Angehörigen ethnischer Minderheiten aufzeigt, wobei es mit rassistischen, sexistischen und politischen Stereotypen spielt.
Die strafrechtliche Verfolgung von Taring Padi wegen Volksverhetzung wurde inzwischen eingestellt. Die Bewertung der Filme “Tokyo Reels” als antisemitische Propaganda wurde zurückgewiesen, obwohl die wissenschaftliche Begleitkommission die Entfernung der Filme gefordert hatte. Nicht nur juristisch, auch künstlerisch scheint sich der Antisemitismusvorwurf gegen Taring Padi und ruangrupa in Luft aufgelöst zu haben. Während Taring Padi In Deutschland so verpönt ist, dass selbst ein harmloser T-Shirt-Druck-Workshop auf dem Kölner Asientag Ende Mai 2023 vom Hauptveranstaltungsort in eine Galerie verlegt werden musste, gibt die Gruppe Workshops im Museo Reina Sofía in Madrid, einem der zehn meistbesuchten Museen der Welt, und stellt in Amsterdam gemeinsam mit einem jüdisch geprägten Künstlerkollektiv aus Brasilien aus. Ruangrupa wurde von einem wichtigen Kunstmagazin aufgrund des documenta-Erfolgs als wichtigste künstlerische Stimme der Gegenwart bezeichnet und hat in der internationalen Kunstwelt keinen Schaden genommen, sondern Solidarität und Unterstützung erfahren. Es wäre schwierig, im Ausland Kunstexperten zu finden, die den Antisemitismusvorwurf der wissenschaftlichen Begleitkommission der documenta gegen Taring Padi und ruangrupa teilen würden.
Unser Buch zeigt, wie sehr das Bild “People’s Justice” den provokativen und subversiven kuratorischen und künstlerischen Methoden und politischen Werten von Peter Sellars verpflichtet ist, dem Leiter des Adelaide Art Festival 2002, wo das Bild erstmals ausgestellt wurde. Das Adelaide Art Festival war damals, ähnlich wie die documenta, die Lieblingsinstitution eines Kunstbürgertums, das sich im Alltag wenig um die Missstände und Widersprüche seiner Gegenwart und die Folgen ihres wirtschaftlichen Handelns in anderen Weltgegenden kümmert.
Sellars eckte damals mit seiner hochprovokanten Werbekampagne an: Auf den Plakaten des Festivals erinnerte er durch die Überblendung eines Hitler-Porträts mit Porträts populärer Künstler des 20. Jahrhunderts auf brutale Weise an den inneren Zusammenhang von Kunst und Politik und daran, dass das eine ohne das andere nicht zu haben ist. Es schien Peter Sellars damals wenig zu kümmern, dass er der Institution, die ihn beauftragt hatte, schweren Schaden zufügte. Das erinnert an die rätselhafte Abwehrstrategie der indonesischen Kuratoren während der documenta, die wenig zur Deeskalation und Schadensbegrenzung beitrugen.
Taring Padi hingegen hat sich schon früh dazu entschlossen, sich eines Narrativs der Naivität zu bedienen. Zumindest juristisch war dies insofern erfolgreich, als die Klagen aufgrund des fremden "kulturellen Hintergrunds" und des damit angeblich fehlenden Vorsatzes abgewiesen wurden. Die vielfältigen Bezüge von Taring Padi und ruangrupa zur westlichen Kunstwelt und der beindruckende intellektuelle Unterbau des seit 25 Jahren aktiven Künstlerkollektivs, die gegen ihre Naivität sprechen, wurden jedoch von den deutschen Medien ignoriert und von Taring Padi bewusst heruntergespielt und in Interviews aktiv geleugnet.
Für viele Angehörige der deutsch-indonesischen Community waren die Ereignisse und die Berichterstattung darüber schmerzhaft. Der Kampf gegen den Islamismus und generell gegen die Instrumentalisierung der religiösen Gefühle der Bevölkerung, um Hass und Zwietracht zu säen, die Versöhnung der Religionen und Völker stehen offenkundig im Mittelpunkt der Arbeit von Taring Padi und konkret im Mittelpunkt des Meisterwerks "People's Justice". Als klar wurde, dass die Öffentlichkeit sich nicht für die Entstehung des Bildes und seine Künstler interessierte, war das Schweigen und „Dummstellen“ für Taring Padi die klügste Strategie, um das documenta-Kapitel hinter sich zu lassen. Für ruangrupa und Taring Padi ist es aus indonesischer Perspektive schlicht absurd, "in ein Lager mit Leuten geworfen zu werden, die Hass auf Israel schüren". Eine Karriere als bildender Künstler zu wählen und über Jahrzehnte zu verfolgen, ist in Indonesien wirklich nicht typisch für Islamisten.
Der Hass auf Israel oder das Judentum hat in Indonesien keine lange Tradition, er kommt nicht aus der Kolonialzeit, sondern kam mit dem arabischen Einfluss auf den indonesischen Islam, insbesondere mit der Unterstützung Saudi-Arabiens beim Aufbau religiöser Schulen seit den 1970er Jahren und dann verstärkt durch den Einfluss von Al Jazeera, dem israelfeindlichen Propagandasender aus Qatar, der seit 1996 von seinem Studio in Kuala Lumpur aus einen erheblichen Einfluss auf die Radikalisierung auch indonesischer und philippinischer Islamisten ausübt. Sowohl Taring Padi als auch ruangrupa sind sich durchaus bewusst, dass die deutsche Israelfixierung und die islamistische Palästinafixierung verschwistert sind und vom eigentlichen Problem der westlichen Zusammenarbeit mit Ländern und Politikern ablenken, die den islamistischen Terror unterstützen oder mehr als nötig dulden. Indonesien gehörte wie Israel und im Gegensatz zu Deutschland zu den Hauptleidtragenden des islamistischen Separatismus und Terrors, und auch ohne diplomatische Beziehungen besteht bei den politischen Eliten der beiden Länder breiter Konsens, dass man mit Terrorunterstützern wie dem Iran und früher Libyen, die das Gebot der politischen Nichteinmischung in innere Angelegenheiten so eklatant missachteten, zwar redet, aber keine großen Geschäfte vereinbart und Pakte schließt. Allerdings haben bei de Länder seit ihrer durch die UNO gestifteten Gründung kurz nach dem 2. Weltkrieg soviel Aggression und Feindschaft erfahren, dass sie sich weder ihre Freunde noch ihre Methoden immer frei wählen konnten. Im Gutachten der wissenschaftlichen Begleitkommission wird die Verzweiflung darüber angedeutet, wie unmöglich es während der documenta war, in diesem Differenziertheitsgrad über Antisemitismus und Postkolonialismus zu diskutieren.
Durch die Fokussierung auf den Antisemitismusvorwurf wurde aber die Chance vertan, dass die indonesische Perspektive auf die neokolonialen Praktiken der USA und Europas und - vor dem Hintergrund der Abhängigkeit vom arabischen Öl - die jahrzehntelange Zusammenarbeit des Westens mit Islamisten die gebührende Aufmerksamkeit erhielt. Diese Abhängigkeit war mindestens so verwerflich und schädlich wie die europäische Abhängigkeit vom russischen Gas und die Duldung von Putins Mafiapolitik.
Im Ausland wurde das Konzept der documenta in Fachkreisen zwar weithin verstanden und sogar gefeiert. Aber wie Marion Detjen von der ZEIT feststellte, hat sich Deutschland durch den Umgang mit den Kunstwerken und den Künstlern ordentlich blamiert und in einer Zeit, in der die Länder und Kontinente einen "war for talents" führen und auch mit kulturpolitischen Argumenten, Toleranz und Weltoffenheit für Fachkräfteeinwanderung werben, in seiner Provinzialität verheddert. Detjen schreibt: "Die Künstler*innen und Kurator*innen wurden erst nach Deutschland eingeladen, aber dann, wie weiland die ‚Gastarbeiter‘, höchst ungastlich behandelt, ausschließlich an den deutschen Bedürfnissen gemessen und deutschen Prioritäten verpflichtet. Während sie sich in Kassel mit rassistischen Übergriffen konfrontiert sahen, wurden sie aufgefordert, sich mit den deutschen Befindlichkeiten zu beschäftigen, und das auf eine Art und Weise, die ihnen als feindlich, chaotisch, unfreundlich aufstieß." Auf diese Weise wurden viele Röhren der Kunst-Pipeline in den globalen Süden gesprengt und kulturpolitisches Kapital Deutschlands vernichtet.
In unserem Buch zeigen wir, dass es seit der Entstehung des Bildes widerstreitende Perspektiven, unterschiedliche Fraktionen und verwickelte Überlegungen zur Wirkung künstlerischer Interventionen innerhalb und zwischen den Gruppen Taring Padi und ruangrupa gab. Für uns besteht aber kein Zweifel, dass mit der documenta durch die Thematisierung Kissingers, Palästinas und das Zeigen nationalsozialistischer Symbole mit dem Katalysator des Antisemitismus beabsichtigt war, eine Auseinandersetzung über das Thema Rassismus auszulösen - und das in Kassel, das durch den NSU-Mord an Halit Yozgat, die damit verbundene Verfassungsschutzaffäre, das rechtsextremistische Attentat auf Walter Lübcke und den rechtsextremistischen Terroranschlag auf Migranten in Hanau zu einem Hotspot rassistischer und rechtsextremistischer Gewalt in Deutschland geworden war. Dass sich das Thema Antisemitismus dafür besonders eignete, war jedem, der je mit kunstsinnigen Deutschen zu tun hatte, klar. Schlecht verträgt sich der deutsche Philosemitismus allerdings mit der merkwürdigen Gleichgültigkeit gegenüber den Propagandisten und Förderern des islamistischen Terrors im Iran, in Saudi-Arabien, Katar und bei den Palästinensern, die keine Kritik von deutscher Seite zu befürchten haben, so wie andererseits Kritik an jüdischen und israelischen Politikern und Bewegungen tabuisiert wird und die Benennung der dunklen Strömungen und Personen des jüdischen und israelischen geistigen und politischen Lebens im liberalen Mainstream keinen Platz hat. In scharfem Kontrast dazu stand die heftige und grundsätzliche innerjüdische Kritik etwa Martin Bubers an den radikalen Zaddiks bzw. Rebbes und ihren fanatischen Anhängern, die Kritik Albert Einsteins und Hannah Arendts an Menachem Begin und seiner nach faschistischem Vorbild formierten Partei oder die ätzende Kritik vor allem jüdischer Intellektueller wie Joseph Heller und israelischer Politiker wie Moshe Dayan an der amoralischen Amtsführung Henry Kissingers in den 1970er Jahren und seiner bis heute verhinderten Strafverfolgung.
Besonders deutlich kommt ja diese widersprüchliche Haltung Deutschlands im BDS-Beschluss des Bundestags zum Ausdruck, der solchen Ländern besser anstehen würde, die nicht engste Wirtschaftsbeziehungen zum Iran, der die terroristische, anti-israelische Hisbollah finanziert; zu Qatar, das den israelfeindlichen Propaganda-Sender Al Jazeera und die Hamas beheimatet; sowie zur palästinensischen Autonomiebehörde, das mit den Al-Aqsa-Brigaden ebenfalls Terror gegen Israelis organisiert hat und mit seinen von EU-Fördergeldern finanzierten, antisemitischen Schulbüchern dem Hass auf Israel mehr Vorschub leistet als die wenig wirksamen Kampagnen der BDS-Bewegung.
Wir können in unserer im Mai 2023 publizierten Analyse des inkriminierten Bildes von Taring Padi zeigen, dass die Versöhnung der Religionen und - bei aller positiv konnotierten Gender- und Multikulti-Seligkeit - die Anklage konkreter jüdischer, muslimischer und christlicher sowie weiblicher, afroamerikanischer, arabischer und asiatischer, mehr oder weniger überführter Politkrimineller, damals neben Henry Kissinger auch Colin Powell, Queen Elizabeth, Benazir Bhutto, Muammar Gaddafi und Bill Clinton, eine Kernbotschaft des Bildes darstellt.
Mit den Umständen der Entfernung des Bildes haben wir uns nur am Rande befasst. Auch den Abschlussbericht des Gremiums zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta haben wir damals nicht rezipiert, weil uns die Bildanalyse vorrangig erschien. Angesichts der Reichweite einiger Aussagen in diesem Bericht und vor allem wegen der in unseren Augen krassen Fehlinterpretation der Intentionen und der Bildsprache von „People’s Justice“, die einer erneuten Ausstellung des Bildes in Deutschland im Wege stehen, erscheint uns das jedoch notwendig nachzuholen.
(1) Zunächst fällt der Ausschluss bestimmter Perspektiven auf das Bild auf. Fordert das Gremium die „Erweiterung des Aufsichtsrats um Mitglieder aus dem Kunst- und Kulturbereich, die die kritische und kontrollierende Funktion des Gremiums stärken und bisher fehlende Erfahrungen und fachliche Impulse in seine Arbeit einbringen“ (S. 6), so ist zu hinterfragen, warum sich zwei fachlich kompetente Mitglieder des Gremiums offenbar genötigt sahen, vorzeitig aus dem Gremium auszuscheiden. Die Professorin Elsa Clavé und Professor Facil Tesfaye „sind vorzeitig ausgeschieden, weil sie durch den Fokus des Gremiums auf Antisemitismus ihre Perspektiven aus der Postkolonialismusforschung nicht genügend vertreten sahen.“ (S. 11) Dadurch wird das „Verhältnis von Antisemitismus und postkolonialer Kritik, das in der Debatte um die documenta wieder einmal ins Zentrum öffentlicher Auseinandersetzungen gerückt ist“, im vorliegenden Bericht gerade nicht diskutiert (S. 11). Elsa Clavé war das einzige Mitglied des Gremiums, die sich mit südostasiatischer Kunst auskennt, und der Afrikanist Facil Tesfaye hat zu Genoziden in Afrika (Rwanda) gearbeitet.
Ihr Ausscheiden hat offenbar dazu geführt, dass eine jüdische bzw. israelische Perspektive überbetont und die postkoloniale bzw. Perspektive des Globalen Südens exkludiert worden ist – mit dem Effekt, dass Antisemitismusforscher über den Antisemitismus des Globalen Südens urteilen und dieser nicht argumentativ dagegenhalten kann.
(2) Zweitens fällt auf, dass das Gremium trotz einer anwesenden Kunsthistorikerin, deren Spezialgebiet allerdings die klassische europäische Moderne ist, auf eine ikonographische Analyse des Bildes verzichtet. Das ist umso verwunderlicher, als im Bild (und auf der gesamten documenta) eifrig nach antisemitischer Symbolik gesucht wurde, ohne dass deren Stellenwert im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtung des Bildes interpretiert wird. Das erscheint uns so, als ob George Grosz‘ Bild „Die Stützen der Gesellschaft“ von 1926 als faschistisch abgetan wird, weil es einen Nazi mit Hakenkreuz zeigt. Immerhin ist auch auf dem rechten Flügel des Triptychons, also auf der Seite der „Guten“, ein Nazi-Skinhead dargestellt. Wir sehen, dass es (wie bei Jonathan Meeses Hitlergruß vor Gericht) immer auf den Kontext der Symbolverwenung ankommt. Auch ein Hitlergruß kann als Kunstwerk gelten. (www.sueddeutsche.de/kultur/verfahren-gegen-jonathan-meese-hitlergruss-gilt-als-werk-der-kunst-1.2466053) Erst der Kontext entscheidet darüber, ob es sich um Kunst, Satire oder Hetze handelt. Und diesen Kontext ignoriert das Berichtsgremium, weil der nur durch eine ikonographische Analyse zu bestimmen wäre.
Das Argument für diese Unterlassung liefert die weitverbreitete Bestimmung des Bildes als „Wimmelbild“, die eine atomistische Bildbetrachtung nahelegt, welche auf die Erschließung einer Gesamtaussage des Bildes oder auf die Deutung szenischer Zusammenhänge verzichtet, die sich in einem Triptychon allerdings geradezu aufdrängen.
Was ist nun aber mit körperlichen „rassistischen“ Stereotypen? Die körperlichen Merkmale auch mehrerer nicht als jüdisch markierter Figuren sind auf dem Bild von Taring Padi stark verzerrt wiedergegeben. Geradezu von kunsthistorischer Ignoranz zeugen die Bemerkungen: „Stereotypisierung markiert Fremdheit und Andersartigkeit. Dämonisierung greift die Stereotypisierung auf und geht dazu über, Jüdinnen und Juden als Feinde auszuweisen. Entmenschlichung schließt daran an und übersteigert den über das Feindbild konstruierten Bedrohungsgehalt ins Metaphorische oder Phantastische, so dass Jüdinnen und Juden nicht mehr als Menschen gelten.“ (S. 21) Das übersieht, dass sich Kunst (und vor allem Satire) seit jeher dieser drei Mittel bedient hat, so etwa Goya in seiner Kritik des Klerus, der Inquisition oder der französischen Invasoren, aber auch ihrer Opfer. Durch „Dehumanizing“ kann man sowohl Täter als auch Opfer markieren – man denke an Art Spiegelmans Maus und andere zoomorphen Figuren, die sich auch auf dem Bild von Taring Padi finden. Und wie verhält es sich mit den (zugeschriebenen) körperlichen Merkmalen? Auch die Zeitschrift „New Yorker“ zeigte auf seinem Titelbild schon einmal einen orthodoxen Juden mit Schläfenlocken, der eine schöne Latina küsst, und Affandi, der berühmteste indonesische Künstler der Nachkriegszeit, stellte seinen jüdisch-amerikanischen Sponsor mit übertriebenen (angeblichen) Merkmalen seiner Rasse dar. Aber die Mitglieder des Gremiums haben nicht genau genug hingeschaut: „Was diese Figur ausdrücklich als „jüdisch“ ausweist, sind die Pejes, die von orthodoxen Männern und Jungen getragenen Schläfenlocken.“ (32) Die Verfremdung durch die Glättung der Locken und die starkfarbige Kleidung, die von orthodoxen Männern nicht akzeptiert würde, wird nicht zur Kenntnis genommen.
(3) Drittens kommt das Gremium bei seiner mehr als flüchtigen Bildbetrachtung und der Hyperfokussierung auf antisemitische Symbolik, Davidsterne, SS-Runen und Hakenkreuze, die in einem langatmigen Kompilat antisemitischer Stereotype aufgezählt werden, zu einer absurden Fehlinterpretation der anderen farbig hervorgehobenen Figuren auf dem linken Bildflügel. Die Vermutung, dass es sich bei der jüdisch markierten Figur um den Prototyp des raffgierigen jüdischen Kapitalisten handelt, strahlt auf die anderen Figuren aus und macht aus einer Frau mit Einkaufwagen und Collier, die wir für Königin Elizabeth II. halten, eine raffgierige Jüdin. „Darunter schiebt eine dämonische Frau einen Einkaufswagen mit der Aufschrift „Konsumkultur“. Diese Platzierung könnte eine weitere antisemitische Trope widerspiegeln, nämlich dass Juden und Jüdinnen die Unterhaltungsindustrie und allgemeiner die Kommerzkultur dominieren.“ (S. 37) Sie ist aber gar nicht jüdisch markiert. Man macht sich also nicht einmal den Versuch, die Figuren zu dechiffrieren und ihnen eine individuelle Existenz zu verleihen, sondern sieht sie als dämonische Archetypen.
Verwunderlich auch der Weg, auf dem das Stereotyp des raffgierigen jüdischen Kapitalisten nach Indonesien gelangt sein soll - nämlich ausgerechnet über die Sowjetunion: „Es gibt allerdings eine rechte Tradition, die Juden als Bankiers und Vertreter des „Finanzkapitals“ darstellt – ein bekannter Strang antisemitischer Karikaturen, der von den Nazis „perfektioniert“ und von der Sowjetunion wiederbelebt wurde, die den „modernen Zionismus“ als „die praktische Politik der reichen jüdischen Bourgeoisie“ bezeichnete“ (S. 36 f.). „Der Hut mit den SS-Runen auf dem Kopf der „jüdischen“ Figur in People’s Justice könnte auf eine ‚linke‘ Tradition zurückgehen, die in der UdSSR entstand, oder auf deren spätere Ausprägungen in der arabischen Presse – oder auf beides.“ (S. 36) Das ist eine krasse Fehldeutung. Jüdisch konnotiert ist die Figur Kissinger, weil er als Beispiel für eine Opfer-Täter-Umkehr bzw. Opfer-Täter-Transformation unter dem Vorzeichen der Genozide des 20. Jahrhunderts steht.
(4) Offenbar von dieser Vermutung ausgehend - und getrieben vom Generalverdacht, dass es sich um ein antisemitisches Bild handelt – unterstellt das Gremium schließlich, dass zumindest große Teilen des Bildes von einer israelisch-jüdischen Verschwörung handeln und dass sich der Antisemitismus hier als Antiisraelismus tarnt. Dabei verdrängt man – außer in einigen Textabschnitten - , dass hier vor allem die indonesische Geschichte thematisiert wird und nicht die Politik Israels. Das Gremium ist der Ansicht, da die offene Feindschaft gegenüber Juden nach 1945 geächtet wurde, sei eine (jede?) offene Kritik an Israel eine Kryptoform des Antisemitismus. „Diese Kommunikation über Bande wird unter anderem deshalb gewählt, weil die rassistisch-nationalsozialistische Variante der Begründung der Feindschaft gegenüber Juden nach 1945 weitgehend geächtet wurde. In der Folge und zuweilen in der dezidierten Absicht, den rassistisch-nationalsozialistischen Antisemitismus und die Verbrechen der Nationalsozialisten zu verurteilen, hat sich eine Art ‚Umwegkommunikation‘ entwickelt, die negative Gefühle oder Einstellungen gegenüber Juden und Jüdinnen in einen sozial akzeptierten Kontext der politischen Kritik an Israel überführt.“ (S. 17) Paradoxerweise passt aber der angebliche orthodoxe Finanzkapitalist dann doch nicht in das von dem Gremium gezeichnet Gesamtbild: „Abschließend ist zu betonen, dass die Figur nicht antizionistisch ist: Sie ist rein antisemitisch. Es gibt nichts, was sie als Israeli ausweisen würde (z. B. keine Uniform der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte, keine israelische Flagge)“ (S. 38).
Das letztere ist ausnahmsweise richtig, denn es handelt sich u.E. um einen US-Bürger deutscher Herkunft. Während die Kommission zunächst umständlich erklärt, dass es sich beim Antizionismus um einen Krypto-Antisemitismus handelt, lässt die inkriminierte Figur gar keine zionistischen Merkmale erkennen, was das Gremium einräumt. Der Schriftzug „Mossad“ auf dem Helm eines der Unterstützer des Suharto-Regimes „legt die Vermutung nahe, dass die Darstellung in erster Linie antizionistisch ist, es lässt sich jedoch argumentieren, dass sie zugleich antisemitisch ist. Diese Behauptung stützt sich auf die Tatsache, dass sie als einzige in der Reihe der dargestellten Militärs eine Schweineschnauze hat“ (39) – aber auch der Schwarze, den wir als Colin Powell identifizieren, hat eine Schweineschnauze, und zoomorphe Figuren gibt es viele im Bild, bei den Richtern ebenso wie bei den Angeklagten.
Die aufwändige Diskussion der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (S. 18) übersieht also, dass es zumindest im Bild von Taring Padi nicht um Kritik an Israel schlechthin geht, sondern allenfalls um Kritik an konkreten israelischen Geheimdienstaktionen in Bezug auf Indonesien, an der auch andere Geheimdienste beteiligt waren, die im Bild klar benannt werden (MI6 usw.). Warnen vor einer „Überbetonung“ des Einflusses Israels auf indonesien kann man nur, wenn man das gesamte Bild als Ausdruck der Halluzination einer jüdischen Weltverschwörung ansieht – ausgehend von 1 oder 2 Prozent der Bildfläche. Gleichzeitig wird jedoch zugestanden: „Nach 1967 regelte der Mossad einen Großteil der israelischen Beziehungen zu Indonesien, allerdings betrafen die meisten Vereinbarungen den Verkauf von Rohstoffen“ (42) – also ging es dem Mossad doch auch um Ausplünderung eines postkolonialen Landes? Aber für die Darstellung im Bild entscheidend ist die Zeit um 1965/66, die Zeit des großen Genozids an indonesischen Kommunisten, oft chinesischer Abstammung.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Diskussion, ob das Bild antisemitisch sei oder nicht, an der unterkomplexen, deduktiv-definitorischen Herangehensweise des Gremiums von Anfang an gescheitert ist, was durch die kritiklose Übernahme der von jüdischen Verbänden und Israel gepflegten extrem extensiven Antisemitismusdefinition bedingt ist.
Es wurde nicht einmal der Versuch unternommen, die Figuren aus dem inneren Kontext des Bildes zu deuten und zum Beispiel auf dem Bild nach Szenen zu suchen, die den Verdacht der antisemitischen Bildsprache erhärten oder widerlegen. Nicht einmal die Beschriftungen, die reichlich im Bild vorhanden sind, wurden systematisch untersucht. Man hätte Fragen können: Gibt weitere Hinweise auf Rassismus, Bezüge zum Kapitalismus, zu Israel oder Palästina?
Die Analyse schöpft die Erkenntnismöglichkeiten, die im Bild gegeben sind, bei weitem nicht aus, weil die Kommission durch ihre Vorfestlegungen während der documenta nicht mehr frei und ergebnisoffen analysieren konnte.
Auch der historische Exkurs zur Verbindung von Indonesien und Mossad offenbart den verengten Blick auf die indonesische Geschichte aus einer Optik des kalten Kriegs und entspricht nicht mehr dem aktuellen Forschungsstand, der grob gesagt Sukarno in einem milderen Licht und alle anderen Akteure, insbesondere die amerikanischen und britischen Geheimdienste, die maoistischen Fraktion der Kommunistischen Partei Indonesiens sowie Suharto und seine Mitverschwörer in einem unfreundlicheren Licht zeigt. Zunächst wird es nicht für nötig erachtet, die Motive Sukarnos und seine politischen Handlungsspielräume in den Blick zu nehmen, stattdessen wird mit der Aussage: "Sukarno verweigerte Israel besonders unerbittlich die Anerkennung" ein naturwüchsiger, reflexhafter Antisemitismus insinuiert.
Die Tragweite und Tragik der vor der israelischen Bevölkerung, darunter Holocaust-Überlebenden und ihren Nachfahren, verheimlichten, geheimdienstlichen und waffentechnischen Unterstützung Indonesiens durch Israel bei der Durchführung von zwei Völkermorden, dem an den kommunistischen Chinesen und dem an den Osttimoresen, zwanzig bzw. dreißig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, die maßgeblich die Benennung des Mossad als Mittäter rechtfertigt, wird völlig verkannt.
Arrogant, ja rassistisch wirkt die Schlussfolgerung (S. 103): „Der Kontrast zwischen der auf der documenta fifteen gepflegten Chill-out-Atmosphäre („nongkrong“) in der lumbung-Community und den, zumindest in einigen Fällen, unvermittelt dargebotenen, harten und verstörenden Exponaten, ist besonders deutlich im Fall von Tokyo Reels im Hübner Areal zum Tragen gekommen. Hier hätte die Vermittlung eine besonders wichtige Rolle spielen können – ebenso wie eine Beratung der künstlerischen Leitung, dass an manchen Stellen Informationen zur Einordnung wichtig gewesen wäre, um einen vagen Zustand des „radical chic“ zu vermeiden.“ – Was sagt uns das? Hängen die faulen Asiaten einfach nur ab und chillen? Während das Gremium nicht bereit war, sich in das Bild als Ganzes zu vertiefen, besteht es auf einer Erklärungsleistung, die weder die europäische Moderne noch frühere documentas je geleistet haben. Aber Kunst will nicht erklärt, sondern entschlüsselt werden.
Als "mildestes Mittel" schlägt das Gremium für die Zukunft der documenta ein Recht der Geschäftsführung auf "Kontextualisierung und gegebenenfalls kritische Kommentierung" von Kunstwerken vor, die im Verdacht stehen, nicht verfassungskonform zu sein. Wenn man sich aber nicht intensiv mit den Bildern beschäftigt und keinen Dialog mit den Künstlern führt, kann dabei nur eine Art Triggerwarnung herauskommen. In schwereren Fällen könne - so das Gremium - auch eine Distanzierung angezeigt sein. Dies verkennt, dass das Kunstwerk wie viele andere - vor allem auch wie Satire und Ironie - selbst einen Akt der Distanzierung darstellt, der erst einmal verstanden sein muss, damit man sich von der Distanzierung distanzieren kann. Eine solche Distanzierung vom Inhalt erkennen wir zum, Beispiel bereits im Titel „Tokyo Reels“, der auf die „reels“ genannten kurzen Selbstinszenierungs-Clips in den sozialen Medien, v.a. TikTok und Instagram anspielt. Die Perspektive aus Tokyo, der Hauptstadt Japans, dem Land, das als Nazi-Verbündeter China und Südostasien unterworfen hat, ist hierbei eine Perspektive, die bei einem globalen, auch arabischen und asiatischen Publikum große innere Distanz evoziert, die noch gesteigert wird, wenn man zusätzlich erfährt, dass es sich um die Sammlung eines kommunistischen und terroristischen Sexfilm-Regisseurs handelt.
Eine groteske Fehlinterpretation erfährt auch das mit Feinschreiber gezeichnete Bild "Bigger the War than the Peace", die Einzelarbeit von Aris Prebawa, einem der Gründungsmitglieder von Taring Padi, der das Kollektiv neben Yustoni Volunteero, und Hestu A. Nugroho im Jahr 2002 bei der Erstvorstellung des Bildes in Adelaide repräsentierte.
Von der Kommission wird ein Ausschnitt gewählt, der insinuiert, dass Israel - neben den USA, Großbritannien, Frankreich – als imperialistisches Land einsortiert wird. Das mittlere Panel des 3,80 m breiten, mit Bleistift gezeichneten Bildes zeigt aber neben den westlichen Ländern auch Malaysia, Thailand und die Sowjetunion, also auch ein islamisches und ein kommunistisches Land. Die Deutung, Israel werde in die Reihe der imperialistischen Länder einsortiert, ist also nicht zu halten. Vielmehr hat Aris Prebawa bei der Eröffnung der zugehörigen Ausstellung die Geschichte des Bildes mit dem islamistischen Terrorismus in Indonesien und mit dem Golfkrieg verbunden - nachzulesen in der Jakarta Post als erster Treffer der Google Suche, wenn man den Bild-Titel eingibt. Ist man den Künstlern, die man hier im öffentlichen Auftrag und mit großem Publikum als Antisemiten und Antizionisten denunziert, diese gründliche Recherche nicht schuldig?
Die Interpretation der Darstellung des uniformierten Arafats als engelsgleich schwebend und positiv konnotiert ist vor dem Hintergrund, dass die anderen uniformtragenden Figuren durchweg negativ gezeichnet sind, eine reine Fantasie der Interpreten, die jeder Grundlage entbehrt. Vielmehr zeigt sich bei Durchsicht des Werkes von Aris Prebawa, dass es darin keine einzige positiv dargestellte Figur in Uniform gibt. (https://www.indoartnow..com/artists/aris-prabawa - sic!) Dementsprechend ist die Darstellung des uniformierten Arafats keineswegs als positiv und heldenverehrend zu bewerten, da der Bildtitel alles Uniformierte und Kriegerische grundsätzlich ablehnt.
Bei den mit niedergeschlagenen Augen lächelnden, in islamische Gewänder gekleideten angeketteten Männer unterhalb der fahnentragenden Totenkopfmänner handelt es sich u.a. um den indonesischen Islamistenführer Abu Bakar Bashir. Die Männer sitzen auf einem Haufen Schutt und menschlichen Schädeln; sie waren die Urheber der islamistischen Attentate von Bali und Jakarta in den Jahren 2001 und 2002. Danach stand Bashir im Mittelpunkt einiger außenpolitischer Kontroversen um eine Auslieferung an die USA. Er wurde von der indonesischen Regierung jedoch nur milde bestraft und später begnadigt für seine terroristischen Aktivitäten. Eingerahmt wird die Gruppe von den mit Totenkopf-Masken ausgestatteten Anzugträgern, deren Flaggen an den unteren Enden zugespitzt sind wie die Bambus-Speere der indonesischen Jugend-Milizen im Unabhängigkeitskrieg von 1945-49. Die Speere zeigen auf Bashir und würden ihn am liebsten erstechen – Chiffre für die Auslieferungsbegehren der USA und den australischen Druck auf eine härtere Bestrafung Bashirs vor dem Hintergrund der vielen australischen Terroropfer in Bali. Im Vordergrund hingegen appelliert ein Banner mit der Aufschrift „manusiawi“ (menschlich sein) für Menschlichkeit im Umgang mit den Islamisten. Vor dem angeketten Bashir und seinen Jüngern sehen wir Osama bin Laden, Saddam Hussein und dahinter George W. Bush heiter vergnügt im Halbverborgenen hinter den Armen des Schreienden. Ein Soldat hält Saddam gelassen und lächelnd eine Pistole an die Schläfe. Hiermit wird angedeutet, dass die Ober-Terroristen im verborgenen Schalten und Walten können, wie sie möchten, ohne aufgehalten zu werden. Eine zutreffende Deutung der politischen Wirklichkeit, wie sich durch den falschen Vorwand für den Irakkrieg, den pakistanischen Unterschlupf Bin Ladens und die katastrophalen Folgen des Sturzes von Gaddafi zeigte.
Aber es wird auch kritisiert, dass neben den westlichen Ländern auch islamische und multireligiöse asiatische Länder wie Malaysia, Singapur und Thailand den islamistischen Terrorismus instrumentalisieren, um religiöse Bewegungen, die beispielweise auch in Indonesien scharfe Kritiker von Ungerechtigkeit und Korruption sind, insgesamt zu diskreditieren. Der richtige Umgang mit den geistigen und religiösen Anführern der Terroristen bleibt ein unlösbares Dilemma, weshalb der Mann in der Bildmitte verzweifelt die Hände an den Kopf hält und schreit,
Auch die Sicht des Künstlers auf Arafat erschließt sich damit. Anders als in der israelfixierten Interpretation der Kommission steht er keineswegs im Mittelpunkt des Bildes, sondern ist ein Nebendarsteller und in seiner terroristischen Militanz und seinem Uniform-Jäckchen ein nützlicher Idiot der Mächtigen.
Es ist also die selektive Wahl der Bildausschnitte durch die Kommission, die zu einer völlig verzerrten Deutung führt. Der Vorwurf des Antizionismus nur wegen einer israelischen Fahne ist völlig aus der Luft gegriffen, offenbart aber die radikale Sicht der Kommissionsmitglieder, die - weit über die Kriterien der IHRA, International Holocaust Rememberance Association hinausgehend - jede kritische Thematisierung Israels reflexhaft als antizionistisch diffamieren - selbst bei einem Bild, das sich zentral auf die indonesische Innenpolitik bezieht, in diesem Fall auf den Strafprozess gegen den Bali-Bomber Bashir im Jahr 2005, dem Jahr der Entstehung des Bildes.
Angesichts dieser Nachlässigkeiten und Unterlassungen muss man wohl von einer "vorgetäuschten Rezeption" durch das Fachgremium sprechen, ein Begriff, mit dem Wanja Hargens die Medienauseinandersetzung um Fassbinders angeblich antisemitisches Stück "Die Stadt, der Müll und der Tod" resümierte, das kaum jemand gelesen und niemand gesehen hatte. (Erst 2009 war es erstmals in Deutschland zu sehen - auch dies eine Parallele zur documenta 15.) An einem „Ersatzobjekt“ - so Hargens damals - sei etwas anderes verhandelt worden: das "Verhältnis der Deutschen zu ihrer Vergangenheit, ihren Ressentiments und deren nachkriegstypischer Repression".
Vor dem Hintergrund der eindeutig tendenziösen Deutung des Bildes von Aris Prebawa sind Zweifel angebracht, ob die Bilder Yayak Yatmakas, der ebenfalls in der Vorstellung von Taring Padi auf der Website der documenta fifteen als aktives Taring Padi-Mitglied ausgewiesen ist, so eindeutig sind, wie es den Anschein hat. Die von der Kommission lautstark eingeforderte Kontextualisierung wird für die drei gezeigten Karikaturen nicht mitgeliefert. Die Abbildung 3.18 (Rohstoffdiebstahl) könnte sich auf den maßgeblich von Kissinger eingefädelten Rohstoffdeal mit Freeport beziehen, die Abbildung 3.19 auf die durch jüdischstämmige Akteure beim CIA-gesteuerten Congress of Cultural Freedom gelenkte Propaganda und die Abbildung 3.20 ist zu deuten als Suharto, der für seinen Massenmord an den Kommunisten und Chinesen ermutigt wird durch den sich seiner Weltherrschaft erfreuenden Uncle Sam links und die weniger eindeutige Figur zur rechten, einem schweineköpfigen, nur mit Unterhose bekleideten Mann, der einen schweren Klumpen, der mit dem Davidsstern markiert ist, trägt. Hier könnte ein Goldklumpen gemeint sein, also erneut ein Verweis auf den 1967 geschlossenen Freeport-Deal in West-Papua, der durch deren späteren Aufsichtsratsvorsitzenden Kissinger arrangiert wurde.
Wie bei der Buchvorstellung in Bonn gehe ich (H. U.) davon aus, dass Yatmaka mit "jüdischen Kreisen in den USA" die neokonservativen "New York Intellectuals" meint, die nach der Konferenz von Bandung Sukarno als einen ideologischen Hauptgegner ausgemacht haben, und die auf die Dulles-Brüder, den Außenminister und den CIA-Chef eingewirkt haben, um die Rebellionen in Indonesien 1957 und 1958 anzufachen und durch die Unterstützung des indonesischen Militärs auf einen regime change in Indonesien hinzuwirken. Dass Yayak Yatmaka unverhohlen antisemitische Einstellungen habe, wie dies hier leichtfertig behauptet wird, würde Alex Flor, der 2021 verstorbene Sohn eines jüdischen Holocaust-Überlebenden, der unter anderem gemeinsam mit Yatmaka den Menschenrechtsverein Indonesia-Watch gegründet hat, welcher seit den 90er Jahren scharfe Kritik an der menschenrechtsverachtenden Unterstützung des Suharto-Regimes durch die deutsche Bundesregierung und deutsche Großkonzerne übte, sicherlich energisch abstreiten.
Ausländischen Beobachtern ist nicht verborgen geblieben, was während der documenta in den Medien und in der vom Konformitätsdruck und Vorfestlegung erstickten politischen Aufarbeitung passierte: Statt sich der eigenen Mitschuld gegenüber dem globalen Süden zu stellen, hat sich die deutsche Politik und Öffentlichkeit darin gefallen, ihre moralische Überlegenheit zu betonen. Die Wächter des Anti-Antisemitismus haben die Gelegenheit genutzt, die Antisemitismusvorwürfe aufzugreifen, um ihre Vorurteile über den globalen Süden zu bestätigen.
Gleichzeitig erleben Migrantinnen und Migranten wie zuvor im rechtspopulistisch regierten Italien und im Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich nun auch in Deutschland eine Rückkehr des offenen Rassismus in den liberalen Mainstream, in den Medien, auf der Straße und in den Betrieben, weil wie jetzt auf der documenta den Themen und Obsessionen der radikalen Rechten breiter Raum gegeben wird. Dabei wäre die documenta eine hervorragende Gelegenheit gewesen, das Angebot einer differenzierten Sichtweise und ungewohnter Perspektiven auf "globale Wahrheiten", wie sie uns großartige Bilder wie "People's Justice" und "Bigger the War than the Peace" vermitteln, zu nutzen.
Die Selbstkritik, der sich die deutsche Öffentlichkeit und Politik gestellt hat im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit und Gasabhängigkeit von dem seit zwei Jahrzehnten mit kriminellen und terroristischen Methoden im Inland und Ausland operierenden Russland unter Putin, wäre auch bezüglich der Komplizenschaft mit den ähnlich agierenden Staatsoberhäuptern der Ölförderländer und ehemaligen anti-sowjetischen Frontstaaten überfällig.
Genau darin bestand der Witz der zentralen Bilder Taring Padis, ein Witz, der nicht mehr funktioniert, wenn man ihn erklären muss.
Das ist allerdings ein schwaches Argument, um die Strategie von Taring Padi in der documenta-Auseinandersetzung in Form des bei jeder Gelegenheit verbreitete Naivitäts-Narrativs zu rechtfertigen. Das stärkere Argument für dieses Strategie besteht sicherlich darin, dass der seit dem ersten Interview sorgfältig kultivierte Exoten-Status und das angebliche Desinteresse und Unwissen Taring Padis über europäische und nahöstliche Politik sich als hilfreich erwiesen hat, damit die Staatsanwaltschaft keine Anklage gegen Volksverhetzung erhebt. Zentrales Argument der Staatsanwaltschaft um von einer Anklageerhebung abzusehen, war ja der mangelnde Hinweis auf den "Tatvorsatz", auf Deutsch: "Sie wussten nicht was sie tun".
Auf diese Weise konnte das Verfahren wegen Volksverhetzung gegen Taring Padi und die politisch Verantwortlichen der documenta, die frühere documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, das Kuratorenkolletiv ruangrupa, den damaligen Vorsitzenden des documenta-Forums Jörg Sperling, Staatsministerin Claudia Roth und den Interims-Geschäftsführer der documenta Alexander Fahrenholtz vermieden werden, was sicherlich ein Segen ist.
Insofern wirkt der Dreiklang aus Rechtsgutachten, Abschlussbericht und Verfahrenseinstellung um den Preis einer "autoritären Diskursbegradigung" (Marion Detjen) wie der letzte Streich dieser Documenta, einer Institution, die seit ihrer Gründung Geheimniskrämerei kultivierte, worauf zuletzt Erhard Schüttpelz hinwies: "Wie jeder amerikanische Präsidentschaftswahlkampf eine neue Form von Medienkampagne hervorbrachte, so brachte jede Documenta ihren eigenen Stil der Irreführung und Mystifikation zur Geltung. Das war ein Teil ihres Nimbus, und das war ihr Beitrag zum Boulevard-Theater. Die d15 war da keine Ausnahme, sondern nur die vorerst letzte Variante des Themas. Und das indonesische Kuratorenteam ruangrupa hat einige Betriebsgeheimnisse bis zuletzt gewahrt und entpuppte sich darin als stolze Vertreterin ihrer Zunft." (E. Schüttpelz, Merkur-Blog https://www.merkur-zeitschrift.de/2023/02/21/die-documenta-nach-ihrem-ende-18-2-2023/)
In unserem Buch zeichnen wir die kuratorischen Strategien von Peter Sellars nach, dem Leiter des Adelaide-Festivals von 2002, für das "People's Justice" vor 20 Jahren gemalt wurde. Sellars hinterließ eine Schneise der Verwüstung in vielen der etablierten Kulturinstitutionen, die ihn beauftragten. Wir zeigen, dass mehrere frühe weibliche Mitglieder von Taring Padi ihre Karrieren auf genau dieser Form kultureller Subversion aufbauten. Die Ehefrau des Taring Padi-Gründers Yustoni Volunteero, die australische Kunsthistorikerin Heidi Arbuckle, war in ihrer langjährigen Stellung bei der US-amerikanischen Ford Foundation in Indonesien möglicherweise in die Finanzierung der Projekte von ruangrupa involviert. Ruangrupa erwiesen sich bei der documenta ihren deutschen Gastgebern gegenüber als würdige Nachfolger von Peter Sellars: Erst entern, dann kentern! Mission accomplished, Schiff versenkt.
Neben dieser pessimistischen Sicht auf eine wahrscheinlich absichtsvolle Attacke auf die Reputation der documenta hoffen wir allerdings (dafür wurde uns in den letzten Monaten ein Übermaß an Optimismus bescheinigt), dass wir mit diesen Erläuterungen eine neue Neugierde auf das Bild „People’s Justice“ geweckt haben. Falls es erneut gezeigt würde und sich eine wohlwollende Deutung des Werkes durchsetzt, wäre es geeignet, einen Beitrag zu einer erneuerten visuellen Erinnerungskultur und des Gedenkens an genozidale Massenmorde und Menschenrechtsverletzungen unter westlicher Beteiligung zu leisten.
Darüber hinaus könnte eine Verbreitung und pädagogische Aufbereitung des Bildes analog zur Nutzung von Art Spiegelmans Comicbuch „Maus“ in den USA und Deutschland zu einer jugendgerechten Auseinandersetzung mit der jüngsten Zeitgeschichte aus der Perspektive des Globalen Südens beitragen. Es könnte die Erinnerung an einen Sieg der Kunstfreiheit über Zensur und kulturelle Engstirnigkeit wachhalten und die dauerhafte und gleichberechtigte Stellung von Künstlern, Wissenschaftlern und sonstigen Akteuren aus dem Globalen Süden zum Ausdruck bringen.
Auch Hans Eichel kritisiert den Abschlussbericht in der FR vom 13.3.24.
Comments