Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt bestätigte die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Kassel. Das gelte für den Tatbestand der Volksverhetzung ebenso wie für den der Beleidigung und die Verwendung der Symbole verfassungsfeindlicher Organisationen. Es sei nicht hinreichend gesichert, dass sich beispielsweise in dem Großgemälde von Taring Padi enthaltene Darstellungen des »Geschäftsmannes« und des »Mossad Agenten« pauschal gegen Menschen jüdischen Glaubens oder die jüdische Kultur schlechthin richteten. (epd)
Wir haben von Anfang an die Meinung vertreten, dass der David-Stern des Mossad-Mannes kein religiöses, sondern ein Symbol des Staates Israel darstellt und sich auf die (unter anderem) israelische Unterstützung des Diktators Suharto bezieht, während es sich bei dem "Geschäftsmann" um Kissinger handelt, dessen Doppelrolle als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung und später als Täter im Rahmen einer aggressiven genozidalen US-Globalstrategie in Südostasien und auch wegen seiner Tätigkeit für einen Menschenrechte missachtenden US-Bergbaukonzern in Papua durch geglättete Schläfenlocken und SS-Runen markiert wird. Also kann unseres Erachtens keine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit der Künstler unterstellt werden. Auch müssen sich Träger politischer Macht in vielen Fällen Kritik auch in satirischer oder gar beleidigender Form gefallen lassen.
In der ausführlichen 20-seitigen Begründung der Einstellung der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Kassel, die wegen des großen Interesses an dem Fall ausnahmsweise als Presserklärung veröffentlicht wurde (und auch andere Kunstwerke des documenta betrifft), wird umfassender argumentiert:
Die Künstler argumentieren glaubhaft, dass siesämtlich aus dem Globalen Süden kommen, ihre Kunstwerke wurden seit 20 Jahren an anderen Orten bereits ausgestellt, ohne dass an ihnen öffentlich Anstoß genommen wurde. Sie sind mit den strafrechtlichen Regularien Deutschlands nicht vertraut und haben nicht intendiert, antisemitische Stereotype zu verbreiten. Ihre Stilmitteln wurzeln in der indonesischen Kultur. Somit sei auch ein Verbotsirrtum nicht ausgeschlossen. Die documenta-Verantwortlichen könnten schon aus praktischen Gründen nicht alle Exponate vorab prüfen.
Zur Meinungsfreiheit gehöre der Grundsatz einer meinungsfreundlichen Auslegung. Bei der Betrachtung von Kunstwerken müssten alle denkbaren Bedeutungsebenen einbezogen werden. Kunst dürfe nicht auf ihre außerkünstlerische (z.B. politische) Wirkung reduziert werden.
Eine Strafbarkeit nach §130 StGB (Volksverhetzung) sei nicht erkennbar. Auch durch eine Beschimpfung fremder Staaten würden deren in Deutschland lebende Angehörige nicht angegriffen. Die inkriminierten Darstellungen seien nicht eindeutig gegen Vertreter jüdischen Glaubens oder der jüdischen Kultur im Inland gerichtet.
Aber auch eine Gesamtdeutung des Gemäldes als israelbezogene Staatskritik sei nicht plausibel - die Figuren machen weniger als 0.5 % der Gesamtfläche des Bildes aus.
Die Tatsache, dass das Bild in einem anderen Kulturraum entstanden ist, spreche dagegen, dass ein Bezug zur jüdischen Bevölkerung in Deutschland intendiert sei.
Auch ein Verdacht der Störung des öffentlichen Friedens durch Aufruf zu Rechtsbruch oder Gewalt bestehe nicht.
Aufstachelung zum Hass könne nicht nachgewiesen werden, auch wenn die Darstellung Verachtung gegenüber einigen der dargestellten Figuren zum Ausdruck bringe.. Beim Strefecht geht es um die Gefährlichkeit, nicht um die Meinung selbst.
Auch Strafbarkeit wegen Beleidigung (§188 StGB) sei nicht gegeben. Die persönliche Ehre der Anzeige Erstattenden [u.a. Volker Beck - HJW], die sämtlich im Inland leben, werde nicht angegriffen. Das werde schon durch Ort und Zeitpunkt der Entstehung des Bildes (Indonesien, ca. 2002) deutlich. Auch in Ländern, in denen das Bild bisher ausgestellt wurde, kam es nicht zu Beanstandungen.
Schließlich wird auch der Vorwurf der Verwendung verfassungsfeindlicher Organe (§§86a i.V.m. 86) wie der SS-Runen zurückgewiesen. Es bedürfe eines gewissen Reflexionsprozesses der Rezipienten, zu erkennen, dass hier keine NS-Propaganda vorliege oder nicht die Bestrebungen der verbotenen SS gefördert werden sollen [!!], sondern dass die Abbildung dem Zwecke der Kunst dient.
"Allein der Umstand, dass ein Werk des Kollektivs auf einem zentralen Kasseler Platz im Zuge einer renommierten Weltkunstschau gezeigt wurde, indiziert [...] ein kunstbezogenes Selbstverständnis [...] In dem Kunstwerk sind zudem Deutungsmöglichkeiten und Rezeptionsdimensionen angelegt [...], die als mehrschichtig erscheinen und deren Bedeutungsgehalt über reine antisemitische / verfassungsfeindliche Propaganda pp hinausgeht."
Zu einem ähnlichen Schluss kam übrigens auch der ehemalige Präsident der Bundesverfassungsgerichts und CSU-Mitglied Hans-Jürgen Papier in einem Interview.
Festzuhalten ist, dass in diesem Beschluss der Staatsanwaltschaft a) das Werk als Kunstwerk anerkannt und b) erstmals in der Diskussion auch die Intentionen der Künstler berücksichtigt wurden. Die 20-seitige Begründung der Einstellung der Ermittlungen mangels Anfangsverdachts ist ein Hoffnungsschimmer und hebt sich positiv von den auf S. 8-11 zitierten, oft hasserfüllten Äußerungen von Boulevard- und "Qualitäts"medien ab. Was die Neue Zürcher als unbilligen "Drittwelt-Rabatt" für das "Horror-Wimmelbild" von Taring Padi kritisiert, das wird von der Staatsanwaltschaft implizit anerkannt als eine kulturspezifische Visualisierung der Erfahrungen indonesischer Künstler mittels lokaler Symboliken und auf Basis lokaler Gepflogenheiten. Und den Erstattern der Anzeige wird zumindest implizit ihre geringes Reflexionsvermögen bezüglich der Verwendung der NS-Symbole vorgehalten, auch wenn ihre persönliche Empörung verständlich sein könne.
Auch in anderen Fällen kam es in letzter Zeit wieder zu Ermittlungen wegen Volksverhetzung, auch wenn NS -Symbole oder -Sprüche ganz offensichtlich in satirischer Absicht oder mit dem Ziel der Warnung vor einer Wiederholung von Zuständen wie 1933/45 gebraucht wurden. Vielleicht kann die bayerische Staatsanwaltschaft von der Begründung der Kasseler Staatsanwaltschaft etwas lernen.
Perfekt zusammengefasst und in der heutigen Debatte zur Antisemitismusresolution schienen mir diese Argumente auch zuweilen mitbedacht.