top of page
Suche

Ein Beitrag von A. Dirk Moses: The German Campaign against Cultural Freedom: Documenta 15 in Context

Autorenbild: Hans-Jürgen WeissbachHans-Jürgen Weissbach

Aktualisiert: 21. Nov. 2024

In: Grey Room, MIT Press 2023 (92)


Anthony Dirk Moses (geboren 1967 in Brisbane, Queensland) ist ein australischer Wissenschaftler mit den Schwerpunkten Völkermord, Erinnerung und Begriffsgeschichte.

Michael Rothberg, Jürgen Zimmerer (" Von Windhuk nach Auschwitz?" Münster 2011) und Moses haben die Frage untersucht, in welchem Zusammenhang der Kolonialismus des Kaiserreichs und der Vernichtungskrieg der Nazis standen. Sie vertreten die in Deutschland bisher wenig diskutierte These, dass wesentliche Aspekte der Naziherrschaft und des Holocaust nur durch deren Beziehung zum Kolonialismus fassbar sind. Moses vertritt insbesondere die These, dass die Reduzierung von Genoziden auf hassbedingte Gewaltakte politische und wirtschaftliche Ursachen von Genoziden ignoriert, so z.B. die Sicherheitsinteressen imperialistischer Staaten. Die Definition von Genoziden über das Motiv "Hass" greift nach Moses zu kurz.

Die fällige Debatte über Deutschland als imperialistische Kolonialmacht wird hierzulande immer wieder durch die Diskussion über den autoritären deutschen "Sonderweg" oder über den "langen Weg Deutschlands nach Westen" überlagert. Dabei findet sich Deutschland bereits im 19. Jahrhundert in der schlechten Gesellschaft der westlichen imperialistischen Hauptmächte. Dass das Deutsche Reich im Wettlauf mit Franzosen, Engländern, Portugiesen und Belgiern um die Vormacht in Afrika zu spät kam und die Konkurrenten fürchten musste und die erwarteten Erträge aus den Kolonien gering ausfielen, förderte noch die grausamen Vernichtungsaktionen wie an den Herero und Nama im heutigen Namibia, die Zwangsarbeit in Deutsch-Ostafrika oder die Einrichtung von Apartheid-ähnlichen Strukturen in Douala (Kamerun). In dieser - nicht nur situationistischen, sondern rassentheoretisch überhöhten - "Eingeborenenpolitik" und ihrem Kontrollwahn sind ideologische Wurzeln des Vernichtungskrieges im Osten und des Holocaust zu sehen.


Moses postuliert in dem hier verlinkten Artikel, dass die extensive Antisemitismus-Definition des IHRA, die sich die Bundesregierung zu eigen gemacht hat, und der Anti-BDS-Beschluss des Bundestages in Verbindung mit der zweifelhaften These, dass der heutige Antisemitismus in Deutschland überwiegend aus der arabischen Welt importiert sei, Grundlagen einer illiberalen, zunehmend autoritären, exkludierenden Kulturpolitik bilden, welche die politische, von antikolonialistischen Bewegungen inspirierte Kunst des Globalen Südens abwehren soll. Der Abschlussbericht des wissenschaftlichen Begleitgremiuns zur documenta 15 lege den Verdacht nahe,

"that it would indict art that depicts violence against Palestinian civilians as “anti-Israeli” and thus fall foul [fällt zum Opfer] of the IHRA working definition of antisemitism - precisely as its critics had feared".

Einerseits vermuten die Autoren eine politische Instrumentalisierung des Antisemitismusverdachts, während People of Colour in Deutschland, die sich für die Palästinenser einsetzen, rassistisch beleidigt oder in ihrer Arbeit eingeschränkt werden, wie der Rauswurf der Journalistin Nemi El-Hassan durch den WDR zeigt.

Andererseits wird durch eine Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs eine Diskussion über den deutschen Kolonialismus und seine Nachwirkungen unterbunden. Dazu gehörten auch der angeblich "sanfte" deutsche Imperialismus gegenüber dem Kalifat, die Duldung des Genozids an den Armeniern durch das Deutsche Reich und Max von Oppenheims (Spitzname "Abu Djihad") Plan, während des Krieges eine Entlastung an den deutschen Fronten zu erreichen und gegnerische Truppen zu binden, indem man mit Hilfe der osmanischen Regierung einen Dschihad, „einen islamischen heiligen Krieg“, also die religiöse Aufwiegelung der muslimischen Bevölkerung in den Kolonialgebieten der deutsch-osmanischen Kriegsgegner anzetteln wollte. Nicht zuletzt ist auch der deutsche Vernichtungskrieg im Osten als kolonialistischer Expansionskrieg anzusehen.





26 Ansichten4 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

4 Comments

Rated 0 out of 5 stars.
No ratings yet

Add a rating
Henry Urmann
Sep 13, 2023

Ok, Ich bin ein wenig neidisch wie er ein paar Sachen zusammenführt und er macht einen Punkt. Aber grundsätzlich seh ich ihn sehr skeptisch. Ich bin da sehr nah bei der altmodischen Fraktion, die an deutscher Sonderwegslogik/Kulturnation, Shoah-Singularität, Universalismus-Verteidigung festhält. Und die meisten Israelkritiker disqualifizieren sich ohnehin durch ihr fehlendes Verständnis für die existentiellen Bedrohungen Israels.

Like
Hans-Jürgen Weissbach
Hans-Jürgen Weissbach
Sep 17, 2023
Replying to

So evident scheint mir die Sonderwegthese nicht. "Der „deutsche Sonderweg“ ist ein Interpretationsentwurf, der die historische Entwicklung einseitig aus heutiger Sicht bewertet und normativ Aussagen („gute“ = liberale, „schlechte“ = autokratischere Regierungsform) wertend auf die Geschichte anwendet und dabei übersieht, dass Geschichte sich nicht zielgerichtet oder zwangsläufig entwickeln muss. Hingewiesen wird von Kritikern der These etwa darauf, dass die Weimarer Republik durchaus auch ein demokratisches Entwicklungspotential hatte und ihr Scheitern nur eine Möglichkeit gewesen ist, nicht aber von vornherein die einzige." (Wikipedia) Da fehlt mir der Vergleich mit Japan, USA, der Türkei usw. Auch in Frankreich hat die Demokratie oft gewackelt, zB 1958/59.

Like
bottom of page